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Südsudan: Zwischen Aufbruchstimmung und Aufarbeitung

 
Meldung vom 09.02.2011

Die Trennung zwischen Süd- und Nordsudan ist nun entschieden. Das offizielle Ergebnis der Abstimmung liegt vor. Die USA und Europa beglückwünschen den Staat Nr. 193. Doch wie sieht nun der Alltag unter diesen neuen Umständen dort aus?

„Du bist verrückt!“ ruft der Fahrer des Motorradtaxis. „Das ist das Doppelte von gestern.“ Der Tankwart verzieht keine Miene. „Benzin ist Mangelware und deshalb ist der Preis verdoppelt.“ Der Taxifahrer wendet sich an seine Passagierin: „Du musst mir das Doppelte zahlen oder laufen.“ Da bricht die Frau ebenfalls in Schimpftiraden aus. „Das ist kein guter Anfang für unsere neue Zukunft“, beschwert sich der Motorradtaxifahrer.

Nicht nur in dem Städtchen Aweil ist einiges anders geworden, seit die Südsudanesen für die Unabhängigkeit gestimmt haben. Vor allem in den nördlichen Teilen Südsudans ist erstmal eine unangenehme Wendung eingetreten: die Verteuerung von Rohstoffen und Nahrungsmitteln. Bis vor dem Referendum fuhren die Tankwagen aus dem Norden über die staubigen Sandstraßen nach Süden, verkauften dort Benzin und kehrten wieder um. Aber seit dem Referendum ist der Nord-Süd-Warentransport größtenteils zum Erliegen gekommen. Die Händler aus dem Norden sind sich nicht sicher, was sie im Süden erwartet, ihre südlichen Kollegen stehen dem Norden misstrauisch gegenüber und fürchten Rache für ihre Wahl der Unabhängigkeit.

Aweil, ein angenehmes Städtchen mit vielen schattenspendenden Mangobäumen, befindet sich nicht weit von der Grenze zwischen Süd- und Nordsudan. Seit dem Referendum steht der Zugverkehr still und der Pfeifton der alten Dampflokomotive, der sonst regelmäßig durch die Nacht schneidet, ertönt nicht mehr. Die Eisenbahnverbindung konnte man die Nabelschnur des Fernhandels zwischen Nord und Süd nennen.

Während des Bürgerkrieges zwischen 1983 und 2005 nutzte die Regierung in Khartum den Schienenverkehr, um damit Milizen an die Front gegen die Rebellen der SPLA (Sudanesische Volksbefreiungsarmee) zu transportieren, die für die Unabhängigkeit des Südens kämpften. Der Zug transportierte auch Waffen und Nahrung für die Truppen des Nordens. Die SPLA richtete regelmäßig Schaden an den Schienen an. Für die Südsudanesen war diese Eisenbahn ein Todeszug.

Aber jetzt, wo die Bahn friedlich eingesetzt werden könnte, fehlt sie. „Ich habe große Abneigung gegen den Norden, aber wir müssen pragmatisch sein“, meint Andrew Deng Malong, ein ehemaliger Rebellenkämpfer, der jetzt als Chauffeur einer Hilfsorganisation tätig ist. „Unser Land muss komplett neu aufgebaut werden. Wir können es uns nicht leisten, wählerisch zu sein. Wir sind zu weit entfernt von Uganda und Kenia, um uns dort zu versorgen. Unsere besten Chancen sind im Norden.“ Es steckt viel Selbstüberwindung darin, so etwas zuzugeben. In Südsudans Grenzgebieten zum Norden wüteten die schlimmsten Bodenkämpfe, die Abneigung gegen die Nordsudanesen ist hier am größten.

Aus seinem Handy, das dem 22-jährigen Athuai als Radio dient, sind die Töne des letzten Hits des südsudanesischen Hiphopsängers Emmanuel Jal zu hören. Athuai sieht seiner Mutter beim Brotbacken auf offenem Feuer in ihrer Hütte zu. „Unsere Häuser sind schrecklich altmodisch“, beklagt sich der Jugendliche. „Wir müssen uns anpassen. Unser neues Land soll modern werden. Mit Steinhäusern!“

Aber die Vergangenheit ist noch nicht verarbeitet. Ab und zu kommt Athuai nicht mehr von seinem Stuhl hoch, gleitet in seine eigene Welt ab. „Ich weiß auch nicht, was dann mit mir los ist“, meint er. „Ich habe Tage, da ist mein Körper schwer und mein Kopf von innen dunkel. Es dauert immer eine Weile, bis das vorbeigeht.“

Nun ist die Trennung also entschieden. Doch man kann zwischen Nord und Süd keine Mauer errichten. Die beiden Teilstaaten müssen noch vieles aufarbeiten: Was geschieht mit Sudans Auslandsschulden von mehr als 30 Milliarden Euro? Wie wird das Öl aufgeteilt, das im Süden gefördert und über den Norden weitertransportiert wird? Wo genau wird überhaupt die Grenze verlaufen und welche Staatsangehörigkeit bekommen Südsudanesen im Norden und Nordsudanesen im Süden?

Südsudans Vizepräsident Riek Machar glaubt an Lösungen. Er ist im Norden zur Schule gegangen, er hat selbst unter dem Rassismus der Araber gelitten. „Die Nordsudanesen meinten gleich nach Sudans Unabhängigkeit 1956, sie wären erstklassige Leute und die Südländer Bürger zweiter Klasse“, erklärt Riek Machar. „Aber ich schätze die Schulen im Norden, und die Menschen dort sind gewiefte Händler. Wir können von ihnen lernen.“

Riek Machar sieht die Situation realistisch und gibt zu, dass viele Südsudanesen in bitterer Armut leben. Dann schließt er energisch seine Jacke und sagt: „Der Norden und der Süden brauchen einander. Wir müssen uns gegenseitig respektieren. Wir brauchen uns nicht zu lieben.“


Video-Beiträge zu diesem Thema

 Der Südsudan feiert




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Die Tageszeitung“, taz.de

Schlagwörter: Sudan, Teilung, Unabhängigkeit, Staat, Alltag, Warentransport, Infrastruktur, Zugverkehr, Verkehr, Handel, Fernhandel, Grenze, Öl, Staatsbürgerschaft, Schulden, Aufarbeitung, Rassismus