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Haiti: Der Neubeginn fängt im Kopf an

 
Meldung vom 16.05.2011

Mehr als ein Jahr nach dem verheerenden Beben bemühen sich die Menschen in Haiti, sich aufzurichten und das Land wieder aufzubauen. Hunderttausende wohnen bis heute in Zelten. Einige Kühne träumen sogar davon, ein besseres Land zu erbauen.

„MTPTC 10“ ist in roter Farbe auf die Wand gesprüht. Das kleine Gebäude klammert sich an den bewaldeten Hang hoch über Port-au-Prince. Die Markierung der Regierung sollte man jedoch nicht ignorieren. Rot bedeutet einsturzgefährdet, das Haus muss abgerissen werden. Wer aber auf dem Weg zu „Tchaka Danse“ ist, muss trotzdem auf der von Rissen durchzogenen steilen Außentreppe herunterklettern.

Gut 30 junge Leute sind auf dem winzigen Vorplatz unterhalb der Straße zusammengekommen. Manche erscheinen in löchrigen Gymnastikanzügen, ein paar haben schon mit Aufwärmübungen angefangen. Nach Ansicht von Leonard Doyle, einem Iren, der unten in der Ebene im lokalen Hauptquartier der UN untergekommen ist, zählen sie zu den wichtigsten Helfern beim Wiederaufbau des Landes. Ihr Beitrag besteht im Singen, Tanzen, Theaterspielen. Darin trainieren sich die jungen Künstler von Tchaka Danse täglich, draußen in den Camps, in denen hunderttausende Menschen seit mehr als einem Jahr hausen.

Noch immer droht die Cholera, schon kündigt sich die nächste Schwierigkeit an: die Saison der Hurrikans, denen die zerschlissenen Zeltstädte nicht standhalten werden. Mit ihren entrückten Liedern, mitreißenden Tänzen und eingängigen Sketches transportieren die Künstler hilfreiche Botschaften für die Menschen in den Camps. Sie inszenieren, wie man sich vor der Krankheit schützt und auf die nächste Naturkatastrophe vorbereitet.

Überall spiegelt sich eine Wiederaufbau-Mentalität wider: Man versucht Ordnung einzuführen. Schritt für Schritt werden die Zelte durch „T-Shelters“, kleine Übergangsbehausungen, ausgewechselt. Leider betrifft das auch das Trainingsquartier der jungen Künstler. Für ein neues Gebäude wird es kein Geld geben.

Auch Renald Derazins Müllprojekt wird da wenig Chancen haben: Eigentlich ist der schlaksige Haitianer als Journalist im Kommunikationsbüro der UN-Migrationsorganisation IOM tätig. Er erstellt etwa Radio-Podcasts für die vielen kleinen, schlecht ausgestatteten Community-Radios. Auch sie sind wichtig, denn sie klären auf. Und sie versuchen, Kommunikation herzustellen: zwischen der armen Masse und der reichen Elite, die sich von der armen Schicht eher bedroht fühlt. Damit Haiti sich aufrappeln kann, sagt Derazin, müssten die Menschen hier endlich kooperieren.

Überhaupt, sagt er, müsste sich in der Denkweise einiges ändern, und da könne man gleich einmal beim Müll anfangen. Denn der liegt überall in Port-au-Prince herum, und die Flaschen und Wassersäckchen der Hilfsorganisationen haben das Problem noch verschlimmert. Deshalb hat eine Freundin Abfalleimer aus Plastikflaschen kreiert, die man leicht selbst nachbauen kann, und Renald und seine Freunde engagieren sich mit Feuereifer für die Idee. „Wir müssen“, sagt er, „Haiti in den Köpfen aufbauen.“

Auf einen Kopf setzt man in Haiti besondere Hoffnung
– auf den neuen Präsident Michel Martelly mit dem Spitznamen „Tèt Kale“ [sprich: tête calée], was auf Kreolisch „Kahlkopf“ heißt. Seit gestern hat er sein Amt angetreten. Die Menschen erwarten sich von dem kahlköpfigen Ex-Sänger, einen Neubeginn. Doch sie äußern ihre Hoffnung nur verhalten: Zu groß ist die Angst, wieder enttäuscht zu werden. Zu oft geschah ihnen das in den letzten 200 Jahren, seit das Land sich unabhängig erklärte.

„Tèt Kale“ steht vor großen Herausforderungen. Die „Cité Soleil“ (ein sehr dicht bevölkertes Elendsviertel in der Hauptstadt) nimmt da sicherlich eine wichtige Rolle ein: Der Slum ist einer der gefährlichsten Orte der Welt. Im Viertel Waf Jeremie am Meer werkeln Jugendliche auf Schutthaufen und versuchen mit einer Säge und bloßen Händen, Eisen aus dem Schutt zu befreien. Richtige Baugeräte sind nicht vorhanden. Ganz in der Nähe hat jemand blaue Mobilklos installiert. Im Abwasserkanal hat sich ein wie tot wirkendes schlafendes Ferkel platziert.

Gegenüber steht noch eine winzige Hütte. Darin befinden sich neun Klassenzimmer. Der Direktor hat die Schule für Kinder ins Leben gerufen, deren Eltern kein Schulgeld bezahlen können. Doch jetzt hat sich der Gönner verabschiedet. 6.000 Dollar benötigt der Direktor pro Jahr, um seine Lehrer zu bezahlen. Der Präsident will künftig von „Expatriates“, im Ausland arbeitenden Haitianern, bei Telefonaten und Überweisungen um Geld für Bildung bitten. Alle Kinder sollen die Grundschule besuchen können. Bis wann es soweit ist, ist ungewiss.

Einige hundert Meter weiter strahlen plötzlich knallgelbe Wände und grün gestrichene Türstöcke aus Steinschutt und Wellblechmeer hervor: die neue Klinik von Schwester Marcella, einer anpackenden italienischen Franziskanerin. Der Frau mit dem schwarzen Schleier, weißen Kittel und den Trekkingsandalen hat das Erdebeben alles geraubt. Doch sie hat das zum Anlass genommen, neu zu beginnen. Sie suchte ein geeignetes Grundstück, wollte bei der Regierung um eine Baugenehmigung anfragen. Dort interessierte sich niemand für ihr Vorhaben. Seither tut und baut sie, was sie will.

Die große Kathedrale
der Hauptstadt, besser gesagt, das, was von ihr übrig geblieben ist, ragt wie ein gewaltiges Gerippe in den Himmel. Polternd stürzt ein Brocken herab. Ein paar Straßen weiter findet man sich scheinbar endgültig an einem Kriegsschauplatz wieder. Wie nach einem Bombenangriff ist man hier nur noch von Ruinen umringt. Davor hocken Frauen und warten auf Käufer für ihre Waren, Paprika, Mangos, Zahnpasta. Ein Platz in der neuen Markthalle, einem Symbol des Wiederaufbaus, ist viel zu teuer für sie. Was rund um sie noch alles unter dem Schutt begraben liegt, das möchte sich keiner vorstellen. Auf alle Fälle gibt es noch viel zu tun in Haiti.


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 Haiti: Stromausfall bei Martellys Vereidigung




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Die Presse“, diepresse.com

Schlagwörter: Haiti, Vereidigung, Michel Martelly, Wiederaufbau, Port-au-Prince, Cholera, Ruinen, Schutt, Zeltstädte, Baugenehmigung, Trümmer