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Somalia: Polizisten ohne Lohn und Gesetz

Meldung vom 17.05.2011

Monatelang erhält er keinen Lohn. Schließlich veräußert Polizist Omar seine Waffe. Das verschafft ihm 500 Dollar. Damit macht er einen Kiosk auf. Doch der wird zerstört, weil es keine Ordnungshüter gibt. Ein tödlicher Kreislauf.

Aus vier Kassettenrekordern gleichzeitig schallen Rezitationen des Koran in die Weite. Nach wenigen Schritten werden die Klänge vom Gewirr der Stimmen übertönt. Auf dem Bakhara-Markt in der somalischen Hauptstadt Mogadischu stehen die Marktstände dicht beieinander. Zu kaufen gibt es hier ein Durcheinander an Waren: Gemüse und Fleisch, Satellitenschüsseln und Transistorradios, Kassetten zur islamischen Lehre, Kleidung, Waffen, auch massivere Waffen wie Panzerfäuste oder Luftabwehrgeschütze, zu allem die dazugehörige Munition, und schließlich Formulare wie Hochschulzeugnisse oder Reisepässe.

Die Gegend rund um den Bakhara Markt wird von der radikalsten islamistischen Gruppe al-Shabaab kontrolliert. Wer für die somalische Regierung tätig ist, lässt sich in dieser Gegend nicht sehen, wenn sein Leben ihm lieb ist.

Abdirahman Omar hat zuletzt als Polizist gearbeitet und wohnt ganz in der Nähe des Marktes. Weil die Gegend auch für ihn unsicher ist, möchte er sich in einer Straße auf dem Gebiet der Übergangsregierung zum Interview verabreden. Omar kommt zu Fuß. Er ist derzeit arbeitslos und muss eine Frau, fünf Kinder und seine Eltern versorgen. „Ich habe 2007/2008 neun Monate lang als Polizist gearbeitet“, berichtet er. „In der ganzen Zeit bin ich nicht ein Mal bezahlt worden.“

Als er dringend Bargeld für das Essen benötigte, habe er schließlich sein Gewehr feil geboten. Mit dem Verkauf seiner Kalaschnikow hat er auf dem Bakhara-Markt 500 Dollar verdient. „Heute bekommst du mehr“, ruft ihm einer der ebenfalls anwesenden Somalier aus dem Hintergrund zu, „im Moment 600 Dollar“. Das Geld habe er seiner Frau ausgehändigt, erzählt Abdirahman Omar. Sie hat damit einen Kiosk mit einer Garküche eröffnet. Vom Verkauf des Essens konnten sie ihre Kinder eine Zeit lang über Wasser halten. Doch dann stürmten die al-Shabaab das Stadtviertel. „Sie haben alles kaputtgemacht, auch unseren Kiosk.“ Seitdem fristet Omar sein Dasein durch gelegentliche Tagesjobs und dank der Hilfe von Familienmitgliedern im Ausland.

An seine Ausbildung zum Polizisten erinnert er sich gern, auch wenn sie ihm letztlich nichts eingetragen hat. „Die Äthiopier haben mich ein halbes Jahr lang geschult“, sagt Omar. Im somalischen Radio hätten sie damals bekannt gegeben, das Geld dafür stamme von der Europäischen Union. Zusammen mit 900 Männern sei er in einem Ausbildungszentrum der äthiopischen Militärpolizei stationiert gewesen, ganz in der Nähe der sudanesischen Grenze. Dort wurde ihnen beigebracht, wie sie den Feind angreifen und sich verteidigen können. „Um Gesetze und solche Sachen ging es gar nicht“, erinnert er sich. „Es gab keinen Unterschied zum Training von Soldaten.“ Mit manchen seiner früheren Kollegen habe er noch ein Beziehung aufrecht erhalten. „Ich schätze mal, dass von meiner Gruppe nur noch 15 Prozent im Polizeidienst sind. Höchstens.“

Die Zahlen der UN sind ebenfalls ernüchternd und dokumentieren, dass 80 Prozent der frisch ausgebildeten Sicherheitskräfte den Polizeidienst quittieren oder von der Armee zu den Islamisten überlaufen, weil sie unregelmäßig oder gar nicht bezahlt werden. Die meisten verkaufen ihre Dienstwaffe oder werden samt Maschinengewehr fahnenflüchtig und wechseln zur Gegenseite über.

Das ist eine vernichtende Bilanz, denn die internationale Gemeinschaft hat viel Geld für die Ausbildung somalischer Polizisten und Soldaten investiert. Sie tut das in der Hoffnung, dass sich der somalische Staat nach Jahrzehnten des Chaos vielleicht doch noch festigt, wenn ausgebildete Sicherheitskräfte für Recht und Ordnung sorgen können.

Seit Mai 2010 ist der Jahrgang mit der Ausbildung fertig. Die somalische Regierung hat die neuen Polizisten anschließend in einen militärischen Einsatz gegen die al-Shabaab geschickt. Doch etliche sind untergetaucht oder übergelaufen.

Genaue Zahlen weiß evtl. die Polizei selbst. Die Mauern des Polizeipräsidiums sind übersät mit Einschüssen. Im Mai 2008 gelang es der al-Shabaab, das Gebäude in ihre Gewalt zu bringen. Die Regierung konnte es zurückerobern, aber auch danach wurde es immer wieder attackiert. Trotzdem wirkt die Stimmung im Treppenhaus an diesem Vormittag gelöst und ruhig. „Alles klar?“, fragt einer der Polizisten auf Deutsch. Im Vorbeigehen berichtet er schnell, wo er die Sprache gelernt hat. 1980 hielt er sich für kurze Zeit in Deutschland auf. Er und etliche somalische Kollegen wurden in Mannheim von deutschen Polizisten ausgebildet.

Osman Omar, der stellvertretende Polizeipräsident von Somalia, lobt Deutschland: „Deutschland hat Somalia beim Aufbau seiner Polizei seit der Unabhängigkeit geholfen, auch zur Zeit Siad Barres“, betont er. „Nur dank der deutschen Unterstützung war die somalische Polizei funktionsfähig.“ Mit dem Lob verfolgt er weitere Absichten. Er hofft auf mehr Hilfe von Deutschland und wünscht sich, dass es seine „frühere Rolle“ wieder übernimmt. „Dann würde unsere Polizei jetzt auch wieder schlagkräftig.“

Der Wortschwall unterbricht abrupt, als der jüngste deutsche Versuch zur Sprache kommt, Somalia beim Aufbau seiner Polizei zu helfen. Wie viele von den 925 Polizisten, die in Äthiopien ausgebildet wurden, noch auf Seiten der Regierung sind, weiß Omar auch nicht. Zu irgendeiner Antwort genötigt bemerkt er: „Es ist ja völlig klar, dass ein gut ausgebildeter Polizist irgendwann seinen Dienst quittiert, wenn er nicht bezahlt wird.“

Im Madina-Hospital liegt derzeit ein Polizist. Awale Mohammed Ali wurde bei einer Schießerei von vier Kugeln getroffen, zwei in die Hände, eine in den Magen, eine in die Seite. „Ich habe mit bewaffneten Dieben gekämpft“, so Awale. „Sie wollten jemanden ausrauben. Weil ich Polizist bin, habe ich versucht, das Opfer zu verteidigen.“

Awale Mohammed Ali ist schon seit neun Jahren in diesem Job tätig. Doch er ist kein regulärer Ordnungshüter. „Die reguläre Polizei bekommt ja kein Geld, deshalb ist denen alles egal. Wir werden von unseren Nachbarn bezahlt. Jeder zahlt einen kleinen Beitrag. Gerade so viel, dass wir davon leben können.“

Das hält Awale offenbar trotz aller Gefahren in dem Job. Dabei hat Awale von den al-Shabaab schon mehrere Anrufe erhalten. „Sie verlangen immer, dass ich für sie arbeite oder sie wenigstens mit Informationen versorge.“ Die Islamisten seien bekannt dafür, dass sie mindestens 150 Dollar im Monat zahlen würden. Awale könnte also deutlich mehr Geld verdienen, als er jetzt von seinen Nachbarn ausgezahlt bekommt. Trotzdem geht er nicht auf dieses Angebot ein. „Die schlachten doch nur Menschen ab. Mein Glaube erlaubt mir das nicht.“ Awale Mohammed Ali steht deshalb dazu, weiter für seine Nachbarn zu arbeiten. „Ich habe keine Angst vor den Islamisten, ich habe schließlich mein eigenes Gewehr.“




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Die Tageszeitung“, taz.de

Schlagwörter: Somalia, Polizisten, Lohn, EU, Ausbildung, Mogadischu, al-Schabaab, Waffe, Islamisten