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Haiti: Ein Land steht still

Meldung vom 12.07.2011

Die Politik kommt nicht vom Fleck, die Cholera ist wieder im Vormarsch, die Aufbauprojekte auf staatlicher Ebene sind gelähmt. Nur punktuelle Projekte unabhängiger Hilfsorganisationen gelingen. Von einem Wiederaufbau in Haiti kann bisher nicht die Rede sein. Rund eineinhalb Jahre nach dem verheerenden Erdbeben leben noch immer Hunderttausende in erbärmlichen Zeltlagern – nur wer Glück hat, entkommt dem Dauerzustand des Provisoriums.

Nur ein paar Sekunden waren es, in denen Myriam Louima am 12. Januar vergangenen Jahres vor ihrem Haus in Grand Goâve in eine Art Schockstarre verfiel. Aber dieser Moment kommt der 33-Jährigen auch heute noch wie eine Ewigkeit vor. Als der Boden in dem haitianischen Küstenort plötzlich heftig erschüttert wurde, Tische und Stühle erzitterten, Gläser zersprangen, war sie zunächst aus dem Haus gerannt, ein paar Meter nur, aber dann hielt sie an. Wie ferngesteuert, so als wäre sie an einem Fleck festgefroren. Das Erdinnere tobte, und Myriam Louima stand einfach da. „Wie angewurzelt“, berichtet sie.

Dann vernahm sie die Schreie ihrer drei Kinder, die draußen gespielt hatten. „Erst da wurde mir klar, was los war.“ Sie lief zu ihnen, der Sohn und die beiden Töchter waren unversehrt, auch ihr Mann war mit dem Schreck davon gekommen. Aber ihr Haus lag in Schutt und Asche.

Sie haben inzwischen dank Hilfsorganisationen ein neues Heim zugewiesen bekommen. Zwei Zimmer, 23 Quadratmeter, Wände aus gepresstem Holz, das Dach aus Wellblech, sogar eine kleine Veranda gibt es. Dazu wurden zwei Türen eingebaut, eine nach vorn, die andere nach hinten – damit man im Notfall schnell nach draußen laufen kann: Nach dem Erdbeben haben viele Haitianer Furcht vor weiteren Beben. „Im Radio warnen sie immer wieder, dass ein noch schlimmeres kommen kann“, meint Myriam Louima.

Familie Louima hatte Glück im Unglück, für viele Landsleute dagegen ist der Alltag weiter katastrophal. Schätzungen zufolge leben derzeit noch immer rund 500.000 Haitianer in erbärmlichen provisorischen Zelten oder Baracken – etwa in einem der engen, schmutzigen Zeltcamps in der Hauptstadt Port-au-Prince, die besonders stark unter dem Beben gelitten hat.

Das Leben in den Obdachlosenlagern birgt vor allem für die Frauen große Gefahren. Menschenrechtsorganisationen zufolge gibt es immer mehr Vergewaltigungen. In den Notunterkünften wurde demnach bereits mehreren tausend Frauen Gewalt angetan. Sicherheit kann in den überfüllten und schlecht beleuchteten Camps trotz organisierter Nachtwachen nicht gewährleistet werden.

Eine Kommission für den Wiederaufbau Haitis gab im Januar 2011 in ihrem Bericht „Haiti one year later“ Zahlen heraus, die die Katastrophe verdeutlichen: 220.000 Tote, 190.000 zerstörte Häuser, 3.978 kaputte oder schwer beschädigte Schulen, 30 zerstörte Krankenhäuser, 19 Millionen Kubikmeter Schutt. Dennoch wurden auch „Zeichen der Hoffnung und des Fortschritts“ verzeichnet.

Inzwischen gibt es mehr und mehr Skeptiker. „Uns bleibt nur die Erkenntnis, dass am 12. Januar 2010 nicht nur die baulichen Symbole von Staat und Kirche sowie unsere eigenen Wohnstätten in Schutt und Asche gelegt wurden, sondern auch unsere Hoffnung“, schrieb die haitianische Schriftstellerin Emmelie Prophète in einem Gastbeitrag für die Neue Zürcher Zeitung.

Der viel beschworene Wiederaufbau ist ins Stocken geraten. Mal blockierten Wirbelstürme die Arbeit der Hilfsorganisationen, dann suchte die Cholera das Land heim. Die Krankheit grassiert seit vergangenem Oktober in Haiti. Bis Ende Mai kamen Ärzte ohne Grenzen zufolge fast 5.000 von 300.000 Cholerapatienten ums Leben. Die benötigte medizinische Hilfe sei „nach wie vor groß“. Zuletzt stieg die Zahl der Erkrankungen wegen starker Regenfälle wieder deutlich an.

Das größte Hindernis für den Wiederaufbau ist die nicht funktionsfähige Regierung. Michel Martelly, der neue Präsident, konnte bisher im Parlament seinen Wunschkandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten nicht durchzusetzen. Die bisherige Regierungspartei Inité von Martellys Vorgänger René Préval beherrscht das Abgeordnetenhaus und ließ den Kandidaten abblitzen. Die laufenden Regierungsgeschäfte hat vorerst der bisherige Premierminister Jean-Max Bellerive in der Hand.

Die gegnerischen Lager haben zwar angesichts der Herausforderungen für das Land eine pragmatische Zusammenarbeit angekündigt, aber in Wirklichkeit hat ein politischer Machtkampf das Land in eine Art Dornröschenschlaf versetzt. „Es passiert nichts, das Land steht auf Stand-by“, beschrieb ein anonym bleibender europäischer Botschafter in der französischen Zeitung Le Monde die Situation. Geld für den Wiederaufbau wird erst wieder fließen, wenn Haiti mit einer funktionsfähigen und verlässlichen Regierung aufwarten kann.




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Spiegel Online“, spiegel.de

Schlagwörter: Haiti, Michel Martelly, Stillstand, Präsident, Regierung, Cholera, Wiederaufbau, Zeltstädte, Erdbeben, Schutt, Runinen, Trümmer