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Philippinen: Fledermausmenschen in Manila

Meldung vom 07.11.2014

Wie Fledermäuse haben sie sich in den Beton unter den Brücken festgekrallt – Tausende Menschen, die auf der Suche nach einem besseren Leben in der philippinischen Hauptstadt Manila gescheitert sind. Sie haben sich notdürftige Behausungen unter den Brücken zusammengezimmert. Dort haben sich ganze Enklaven gebildet. Die Menschen hausen in den finsteren Winkeln der Brücke an stinkenden Gewässern, unter Verschlägen, ohne Wasser und Strom, ohne Zugang zu sanitären Anlagen – ein alptraumhaftes Szenario.

Mit einem ekelerregenden Geräusch, ähnlich wie einem „Plopp“, erschien Luna am Abend des dritten Tages wieder auf der Bildfläche. Direkt vor den Augen ihrer Mutter. Drei Tage hatte sie gemeinsam mit der gesamten Nachbarschaft die Gegend durchforstet, war panisch durch Fischereihafen gelaufen, hatte die Müllberge durchsiebt, gesucht, gerufen, und geweint. Keine Antwort, unauffindbar. Mit jeder vergangenen Stunde schwand die Hoffnung. Gerüchte kursierten; das Mädchen sei nur weggelaufen, meinten die einen, um sie zu beruhigen. „Keine Panik, Corazon, bald kommt deine Tochter zurück.“ Andere wollen fremde Männer in dem Viertel gesehen haben. Organmafia war nicht auszuschließen.

„Und plötzlich war Luna wieder da“, berichtet Corazon de Jesus. Ein weißes Gesicht, knapp unterhalb der Wasseroberfläche, ein toter Körper, mit der Flut nach oben getrieben. Ein Fuß noch immer festgehalten in dem Drahtgestell, in das sie sich am Grund des Flusses verfangen hatte. Luna war beim Spielen durch ein Loch im Boden in den Fluss gerutscht. So banal, so furchtbar. Corazon de Jesus, 34, hockt in ihrem acht Quadratmeter kleinen Verschlag unter der Brücke, den sie ihr Heim nennt und starrt auf das Loch, durch das ihre Tochter fiel.

Über dem Zentrum Manilas schwebt eine hundert Meter lange Brücke. Auf der Oberfläche des Flusses treibt eine glitschige Substanz, die an glänzend schwarze Müllsäcke gemahnt. Es riecht übel, im Wasser schwimmen Fäkalien, Plastik, Essensreste, Müll. Manilas Flüsse kann man mit den Gedärmen der Hauptstadt vergleichen, darin wird alles verstoffwechselt, was niemand mehr benötigt.

Unter der Brücke hausen etwa dreihundert Familien; in hüttenähnlichen Gebilden aus Plastikplanen und Sperrholz, übereinander, nebeneinander. Wellblech an Wellblech, Pappkarton an Pappkarton. Die Familie de Jesus, die de la Costas, die Salvacioles, die Gaquits, die Santos, die Zapatas haben sich hier Schlafplätze und Kochnischen eingerichtet. Ein illegaler Slum nur wenige Zentimeter oberhalb der giftigen Brühe des Flusses. Hütten, die sich wie Fledermäuse in den Zement gekrallt haben. So erhielten die Bewohner ihren Namen: „bat people“ – Fledermausmenschen.

Hätte sich die Regierung durchsetzen können, wären sie schon längst aus der Stadt gejagt worden. Weggeschnippt wir eine Staubfluse.150.000 Familien sind in dieser Form unter den Brücken untergekommen, die über die Kanäle und Flussarme der philippinischen Metropole verlaufen. Adressen oder gar Briefkästen sucht man hier vergeblich. Eigentlich gibt es nichts, was die Identität eines Menschen kennzeichnet. Die Fledermausmenschen gibt es faktisch gar nicht.

Eine Auffangstation in der Gesellschaft, die sich um Leute wie sie kümmert, gibt es nicht. Das Dasein unter der Brücke bedeutet reines Überleben. Um viel mehr geht es nicht. Denn Manila kann ein Problem nicht lösen, ein sehr großes, schnell wachsendes: Platzmangel. Elf Millionen Einwohner fristen ihr Dasein in der Hauptstadt, in der die erste und dritte Welt übereinanderlappen. Mehr als die Hälfte von ihnen bestreitet ein Leben unterhalb der Armutsgrenze. Auch die Familie de Jesus.

Der Name klingt wie eine Prophezeiung: Corazon de Jesus, das Herz Jesu. Während die Mutter an den Tod ihrer kleinen Tochter denkt, rumpeln auf der Brücke Sattelschlepper und Überlandbusse über den Asphalt, Autos lösen ein Hupkonzert aus. Sie bringen die Brücke zum Vibrieren, der Beton erzittert und die Verschläge beben bedenklich.

Ihre Geschichte steht stellvertretend für viele unter der Brücke. Deren Suche nach einem besseren Leben nahm seinen Ausgang irgendwo in den Provinzen der 7.100 Inseln des philippinischen Archipels, weit weg von den gläsernen Einkaufszentren und Luxusboutiquen der Hauptstadt. Sie kamen in rückständigen Bussen und überalterten Fähren in die Hauptstadt – und ihr Weg führte unter die Brücke.

Alles, was ihnen geblieben ist, sind Armut und Überlebenswillen. Damit lässt sich in Manila aber kein einigermaßen bezahlter Job finden. Sie transportieren Steine in den Baugruben oder Kisten mit Fischen im Hafen, verdingen sich als Tagelöhner, veräußern Obst oder Gemüse, mühen sich in Fabriken ab. Sie nehmen alles, was gerade an Arbeit anfällt.

Wenn die Sonne steigt, verwandelt sich die Nische unter der Brücke langsam in einen Backofen. Der Gestank des Flusses wird unbeschreiblich. Corazons Mann Carlos legt sich dann nach 16 Stunden Arbeit hin und Corazon übernimmt, wäscht den dreijährigen Marvin, putzt, hängt Wäsche auf, bereitet Essen zu; begleitet vom Murmeln des Flusses, der Hintergrundmusik ihres Lebens. Seit zwölf Jahren leben sie unter der Brücke, man hat sich mit dem Elend abgefunden. Der Weg nach oben blieb bislang für sie versperrt.

Um Menschen wie diese kümmert sich unsere Projektleiterin Mutter Johanna in der Stadt Naga. Dort versorgt sie Slumbewohner mit Essen, Medikamenten und Kleidung.


Weiterführende Informationen

 Philippinen: Projekt-Berichte




Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Stern“, stern.de

Schlagwörter: Philippinen, Armut, Brücken, Obdachlose, Slums, Feldermausmenschen, Bat People, Fledermäuse, Hütten, Fluss, Organmafia, Landflucht