Syrien: Krankenhäuser unter Beschuss, Kornfelder in Flammen

Meldung vom 06.06.2019

In Europa ist das Interesse an Syrien abgeflaut. Viele meinen, der Syrienkrieg sei fast zu Ende. Doch der UN-Nothilfekoordinator schlägt Alarm: Es müsse mit einer humanitären Katastrophe gerechnet werden, die sogar die Folgen des Tsunamis 2004 in den Schatten stellen könnte.

Drei Millionen Menschen gibt es in der Region um die syrische Stadt Idlib, der letzten Bastion in Syrien, die den Aufständischen Zuflucht bietet. Unter ihnen befinden sich nach Schätzungen der Vereinten Nationen rund eine Million Kinder und eine Million Menschen, die sich zuvor aus anderen Landesteilen dorthin gerettet haben.

Seit Wochen werfen russische und syrische Kampfjets täglich Bomben auf die Provinz im Nordwesten Syriens ab. „Wir beobachten groß angelegte Flächenbombardements in Idlib“, warnte UN-Nothilfekoordinator Mark Lowcock.

Während in Europa die Mehrheit davon ausgeht, dass der Syrienkrieg beigelegt wurde, rechnet Lowcock mit dem Ärgsten. „In Idlib droht die schlimmste humanitäre Katastrophe des Jahrhunderts.“ Der Brite zieht zum Vergleich die Tsunami-Katastrophe 2004 in Asien und die Dürrekatastrophe 2011 in Somalia heran. Bei diesen Desastern starben jeweils rund 250.000 Menschen.

Die drei Millionen Menschen in Idlib säßen derzeit fest und hätten keine Fluchtmöglichkeit, weil die Türkei niemanden mehr über ihre Grenzen lässt. Wenn das syrische Militär und seine Verbündeten ihre Offensive gegen Idlib weiterführen, könnte eine höhere Anzahl von Toten zu beklagen sein als bei allen anderen humanitären Katastrophen seit der Jahrtausendwende, warnte Lowcock. Der 56-Jährige fügte hinzu. „Es kann nicht die Lösung des Problems sein, dass die Türkei noch mehr syrische Flüchtlinge aufnimmt. Die Lösung des Problems kann nur ein Ende der Bombardierungen sein.“

Schon jetzt ist die Lage alptraumhaft. Mehr als 300.000 Menschen sind innerhalb der Provinz wegen der Luftangriffe in Richtung Norden gezogen. Rund 50 Krankenhäuser und andere Gesundheitseinrichtungen in Idlib liegen in Trümmern oder haben aus Angst vor Angriffen freiwillig ihre Arbeit eingestellt. Das von Lowcock geleitete Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) hatte die Koordinaten von vielen dieser Hospitäler mit Einwilligung ihrer Betreiber an die Konfliktparteien weitergegeben. Aber dies wurde nicht beachtet. Er selbst sei „sehr, sehr besorgt“ wegen der Situation.

Ob die Krankenhäuser zerstört wurden, obwohl die UN die GPS-Koordinaten weitergegeben hatte, oder gerade weil sie es getan hatte, könnten nur diejenigen sagen, die die Luftangriffe anordneten. Derzeit bespreche man sich mit den Krankenhausbetreibern, ob es noch sinnvoll ist, zukünftig die GPS-Daten ziviler Einrichtungen in Syrien an die syrische und die russische Regierung preiszugeben.

Baschar al-Assad begründet sein hartes Durchgreifen mit der Präsenz von islamistischen Terroristen in Idlib, allen voran der Dschihadistenmiliz Hayat Tahrir al-Scham (HTS). Das sieht die UN kritisch: Das sollte keine Rechtfertigung für die flächenhafte Bombardierung der Provinz sein. „Auf einen Kämpfer kommen Hunderte Zivilisten“, betonte Lowcock.

Der UN-Koordinator glaubt, dass Europa erst aufwacht, wenn sich wieder Hunderttausende Flüchtlinge von Idlib in Richtung Norden in Bewegung setzen. „2015 liefen eine Million Syrer nach Europa. Was denkt die EU, was die drei Millionen Menschen in Idlib machen sollen? Wir müssen das Problem da lösen, wo es beginnt.“

Die Kriegsführung ist derweil denkbar unfair: Die Hubschrauber und Kampfjets haben längst nicht mehr nur Gebäude im Visier. Sie setzen auch gezielt Getreidefelder in der Provinz in Brand. Hunderte Hektar Ackerland sind in den vergangenen Wochen vernichtet worden. Ziel ist es offenbar, die Ernte zu zerstören und so die Menschen dort auszuhungern und ihnen ihre Existenzgrundlage zu nehmen.


Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Spiegel Online“, spiegel.de